Brutstätten der Kreativität -
Die Aneignung des LKWs
im Sudan



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Abb. 3 > Ungleiche Geschwister. TJ als lokales Baustellenfahrzeug mit leicht durchgesacktem Rücken, gering verändert und gering geschätzt. Mit einem magischen Schutz gegen den Bösen Blick ausgestattet, dessen Ursprung sich in meroitischer Zeit verliert. Dahinter eine Sifinja für Langstrecken gerüstet.



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Abb. 4 > Wie ein Schiff im Ozean. In der Wüste entwickeln sich Schicksals-gemeinschaften.

 



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Abb. 5 > Die funkelnde Sifinja, nach hundert-tausenden von Kilometern immer noch eine strahlende Schönheit.


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Abb. 6 > Sifinja mit genietetem Metallaufbau vor der Werkstatt. Die notwendige Flexibilität des Aufbaus wird hier nicht durch Verwendung von Holz sondern durch die Niettechnik erzielt.

 


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Abb. 9 > Der wiederverwendete Rest der Fahrerkabine.



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Abb. 10 > Der vordere Teil der Fahrerkabine, provisorisch auf das Fahrgestell aufgesetzt. Im Hintergrund die nunmehr nutzlosen Türen.

 


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Abb. 12 > Die Sifinja mit Metallaufbau verfügt im Unterschied zu der Version mit Holzaufbau über eine Fahrerkabine mit geschlossenem Fußraum. Gardinen, hochgerollte Rouleaus und Dachgepäckträger vervollständigen die Fahrerkabine. Unter dem Fahrersitz ist ein Fach für Werkzeug eingelassen. Eine durchgehende Reling dient zum Aufhängen von Wassersack und Gepäckbündeln der Passagiere. Gelegentlich baumeln auch Hühner an der Reling.

 

 

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Die Antwort auf diese Chancen und Herausforderungen ist der sudanesische Umbau, Sifinja (Sandale) genannt. (Abb. 3) Eine Sifinja ist nur noch sehr eingeschränkt das Auto, das britische Ingenieure in den fünfziger Jahren einmal entworfen haben. Der fertige LKW, den die Fabrik liefert (auch heute noch, jedoch aus pakistanischer Produktion), ist im Sudan lediglich die Plattform für eine Reihe von Umrüstungen und Umbauten, welche erst den robusten Lastesel der sudanesischen Gesellschaft erzeugen.

In der Sifinja spiegeln sich sowohl ästhetische Präferenzen als auch der Stolz der Handwerker, die mit Fug und Recht von ihrer Kunst behaupten, sie schaffe ein besseres Auto als die Fabrik, und schließlich die Verbundenheit der Besatzung mit ihrem Auto, das für sie wie ein Schiff für die Mannschaft auch eine Heimat bedeutet. (Abb. 4) Daran ranken sich Legenden über die Abenteuer der Pioniere unter den Fahrern, die neue Wege im automobilen Niemandsland erschlossen und sich in vielerlei Gefahren bewährt haben, über die bahnbrechenden Erfindungen einzelner Handwerker und über die Kunstfertigkeit der Werkstätten. Seit den fünfziger Jahren hat sich die sudanesische Gesellschaft, insbesondere das entstehende Milieu der LKW-Handwerker und Chauffeure den Bedford TJ für sudanesische Zwecke so angeeignet und zugerichtet, daß daraus etwas vollkommen Eigenes entstanden ist, eben die Sifinja.

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Der augenfälligste Umbau besteht darin, die für das sudanesische Frachtaufkommen extrem unpraktische Pritsche gegen einen hochgezogenen Ladeaufbau auszutauschen. Dafür existieren zwei Versionen, eine aus Holz mit Blechverkleidung (Abb. 5) und eine aus Eisenträgern (Abb. 6). Beide haben ihre spezifischen Vorteile; der Holzaufbau schont die Fracht, der Metallaufbau ist langlebiger, aber auch teurer. Beiden ist eine revolutionäre Neuerung im LKW-Bau gemeinsam, nämlich daß das Dach der Fahrerkabine und die Sitzbank für Chauffeur und Beifahrer am Ladeaufbau befestigt ist (Abb.7), aber der Fußraum inklusive Armaturenbrett und Windschutzscheibe mit Motorverkleidung und Kotflügeln eine Einheit bildet (Abb. 8).

zur Galerie Abb. 7 > Sifinja mit Metallaufbau, hier mit demontierter Fahrerkabine und Motorverkleidung.

 

zur Galerie Abb. 8 > Halbfertige Sifinja mit abgesägter Kabine, größeren Hinterreifen und verlängertem Heck.


Dies führt dazu, daß sich bei den Fahrgästen ein leichtes Gefühl körperlicher Irrealität einstellt, wenn sich Sitz und Fußstütze unabhängig voneinander bewegen. Die Sifinja verzichtet einfach auf die geschlossene Fahrerkabine. Diese wird auseinandergesägt und nur der vordere Teil wiederverwendet (Abb. 9). Fahrer und Beifahrer sitzen halb im Freien, eine echte Wohltat im sudanesischen Klima (Abb. 10). Die durchgehende gepolsterte Bank bietet dem Fahrer einen geschützten Schlafplatz, zumal wenn die Segeltuchrouleaus an den Seiten geschlossen sind (Abb. 11). Vor allem jedoch kann die Ladefläche verlängert werden, und es finden vier statt zwei Beifahrer Platz, einer links vom Fahrer.

 


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Abb. 11 > Die Fahrer-kabine, ein Nest aus Sound, Samt und Seide.

 

Weniger augenfällig ist schon die Verlängerung des Fahrgestells um eine Spanne am Heck, was die weitere Verlängerung der Ladefläche um etwa 50 cm erlaubt. Dies ist so kalkuliert, daß hinter dem Radkasten bequem eine Reihe Säcke oder Dieselfässer gestapelt und bei den extremen Wüstenfahrzeugen hinter den Hinterrädern Wasserfässer (mit Wasserhahn zum Zapfen) unter der Ladefläche aufgehängt werden können. Hinter dem Führerhaus und auf dem Trittbrett sind verschließbare Fächer für Werkzeug, Putzzeug, Wagenheber und Teile, möglicherweise auch ein verborgener Safe für Geld und spezielle Fracht eingelassen. Auf dem Dach des Führerhauses ist ein Gepäckträger mit Kisten für Kochgeschirr und Proviant montiert (Abb. 12). Dort, auf dem gegen die Sonne über der Windschutzscheibe weit vorgezogenen Dach, befindet sich der angestammte Platz für den oder die Assistenten des Chauffeurs, die von ihm das Fahren, das Reparieren und das Navigieren lernen, im Gegenzug aber auch für ihn putzen, kochen und bei Bedarf die Sandbleche schleppen.

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© K. Beck (2005) l Gestaltung: G. Klaeger