Brutstätten der Kreativität -
Die Aneignung des LKWs
im Sudan

 


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Abb. 31 > Helden der Aneignung: der Geselle und sein Lehrling



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Abb. 32 > Helden der Aneignung: Herr Adil an-Nur, der Meister, mit dem Treibhammer bei der Teepause, die das Ausdengeln einer zerbeulten Motorhaube unterbricht.



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Abb. 33 > Helden der Aneignung: freihändiges Arbeiten mit dem Hammer...



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Abb. 34 > ...und mit der Trennscheibe bei der Reparatur eines Tanks.

 

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Fahrer und Assistenten nehmen an der Umrüstarbeit teil. Sie essen und beten mit den Handwerkern, häufig schlafen sie auch bei ihnen; so entsteht eine kommunizierende pläneschmiedende Gemeinschaft. Dadurch erwerben die Chauffeure eine Vertrautheit mit ihrer Sifinja, die schon manche Besatzungen und Reisende aus gefährlichen Situationen in der Wüste gerettet hat. Andererseits ergibt sich dadurch die Chance, daß die Erfahrungen der Chauffeure und das Wissen der Handwerker zu Visionen eines besseren LKW zusammenfließen. Und die Kunst der Handwerker besteht dann darin, diese im Material zu verwirklichen.

Ich habe mich hier auf die Arbeit der Schmiede beschränkt (Abb. 31 u. 32). Sie haben sich in zwei Generationen von traditionellen Dorfschmieden, welche - mit der anrollenden automobilen Moderne und ihrer Zerbrechlichkeit konfrontiert - Teile noch mit Schmiedehammer und Feuer reparierten und Gewinde noch mit der Feile schnitten, zu spezialisierten LKW-Schmieden mit Schweißgeräten, Bohrmaschinen und Trennscheiben gewandelt (Abb. 33 u. 34). Ihre Schmiedetradition ist unverkennbar. Sie arbeiten wie Dorfschmiede am Boden, sie verwenden überwiegend Techniken des Umformens, Trennens und Zusammenfügens, wie sie typisch für Dorfschmiede sind (notgedrungen, denn die Stromversorgung ist kapriziös), und sie "denken heiß", wie die typische Ideenführung genannt worden ist, entlang derer Schmiede eine Vision konzeptuell in Metall umsetzen (Keller und Keller 1996) [Cognition and Tool Use. The Blacksmith at Work. Cambridge, Mass.: Cambridge University Press]. Aber sie haben auch gelernt mechanisch und automotiv in Termini von Antrieb, Belastung, Übertragung und Verwindung zu denken. Und sie lassen spielerisch und stolz ihren Sinn für Schönheit in die Sifinja einfließen.

Bei der Arbeit der Aneignung des TJ werden keine trivialen Probleme gelöst, hier ein glattgeklopfter Pepsideckel untergelegt, dort eine Dichtung durch ein Stück Gummischlauch ersetzt oder eine Schraube durch ein Ende Bindfaden. Dies ist nicht das übliche Milieu aus Dilettanten und Amateuren, die mit mehr Gottvertrauen als Ressourcen und Wissen herumbasteln. Sondern hier werden echte mechanische und automotive Herausforderungen gemeistert, die anderswo von Staats wegen und von den Ingenieuren für sich und ihresgleichen reserviert bleiben. Dies sind selbstbewußte Handwerker, versiert in vielerlei Verfahren. Sie verfügen über ebensoviel Materialsinn wie körperliche Geschicklichkeit mit Werkzeug. Ihre lange Praxis hat sie dazu gebracht, in ihren Werkzeugen "zu wohnen" (Polanyi 1958: 58/9) [Personal Knowledge. Towards a Post-Critical Philosophy. Chicago: Chicago University Press]. Bricoleurs im Sinne von Lévi-Strauss (1973, 29ff) [Das Wilde Denken. Frankfurt: Suhrkamp] ja, aber nicht die Stümper, deren Genie sich darin erschöpft, irgend etwas zusammenzuflicken, so daß es notdürftig funktioniert. In der Arbeit der LKW-Schmiede liegt eine kühne aber professionelle Kreativität, durch welche die für selbständige handwerkliche Arbeit typische Einheit von Hand und Hirn leuchtet. Damit ist die Frage nach dem gesellschaftlichen Ort der Kreativität und der gesellschaftlichen Organisation des Wissens gestellt.

Viele der Umbauten sind inzwischen standardisiert. Die Lagerung von Motorverkleidung und Fahrerhaus beispielsweise ist auf vier verschiedene Arten möglich, um deren Erfinder sich im LKW-Milieu eine eigene Folklore rankt. Über Lehre und lokales Milieu haben sich handwerkliche Traditionen ausgebildet, die wichtigsten in Shendi, in El Obeid, in Port Sudan und in Hillat Kuku (Khartum-Nord), welche jeweils einen Rahmen dafür bilden, wie die Schmiede ihre Umrüstungen konzipieren und ausführen. Historisch summieren sich die vielen kleinen Erfindungen und Weiterentwicklungen und bauen aufeinander auf. Viele der Varianten mögen heute in der Praxis nicht mehr verwendet werden, aber sie sind an den langlebigen, anderswo bereits in Oldtimer-Museen verbannten Schmuckstücken noch nachvollziehbar. Dies umschreibt die im Metall materialisierte Geschichte der Aneignung: ein knappes halbes Jahrhundert Bedford TJ im Sudan.

Dennoch sind diese Traditionen nicht starr und gegeneinander abgeschottet, sondern flexibel, durchlässig und vor allem weiterhin fruchtbar. Die Schmiede sind bei ihrer Arbeit im Kontakt mit den Fahrern immer wieder mit neuen Aufgaben konfrontiert und suchen kontinuierlich nach Lösungen und besseren Varianten für bereits bekannte Verfahren. Und diese in Blech geschlagenen Ideen reisen mit den LKWs von einer Werkstatt zur anderen. Dadurch verweben die Autos selbst die sich lokal herausbildenden Traditionen zu einer landesweiten community of practice.

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© K. Beck (2005) l Gestaltung: G. Klaeger