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Fahrer
und Assistenten nehmen an der Umrüstarbeit teil. Sie essen und beten mit
den Handwerkern, häufig schlafen sie auch bei ihnen; so entsteht eine kommunizierende
pläneschmiedende Gemeinschaft. Dadurch erwerben die Chauffeure eine Vertrautheit
mit ihrer Sifinja, die schon manche Besatzungen und Reisende aus gefährlichen
Situationen in der Wüste gerettet hat. Andererseits ergibt sich dadurch die
Chance, daß die Erfahrungen der Chauffeure und das Wissen der Handwerker
zu Visionen eines besseren LKW zusammenfließen. Und die Kunst der Handwerker
besteht dann darin, diese im Material zu verwirklichen.
Ich
habe mich hier auf die Arbeit der Schmiede beschränkt (Abb. 31 u. 32). Sie
haben sich in zwei Generationen von traditionellen Dorfschmieden, welche - mit
der anrollenden automobilen Moderne und ihrer Zerbrechlichkeit konfrontiert -
Teile noch mit Schmiedehammer und Feuer reparierten und Gewinde noch mit der Feile
schnitten, zu spezialisierten LKW-Schmieden mit Schweißgeräten, Bohrmaschinen
und Trennscheiben gewandelt (Abb. 33 u. 34). Ihre Schmiedetradition ist unverkennbar.
Sie arbeiten wie Dorfschmiede am Boden, sie verwenden überwiegend Techniken
des Umformens, Trennens und Zusammenfügens, wie sie typisch für Dorfschmiede
sind (notgedrungen, denn die Stromversorgung ist kapriziös), und sie "denken
heiß", wie die typische Ideenführung genannt worden ist, entlang
derer Schmiede eine Vision konzeptuell in Metall umsetzen (Keller und Keller 1996)
[Cognition and Tool Use. The Blacksmith at Work. Cambridge, Mass.: Cambridge
University Press]. Aber sie haben auch gelernt mechanisch
und automotiv in Termini von Antrieb, Belastung, Übertragung und Verwindung
zu denken. Und sie lassen spielerisch und stolz ihren Sinn für Schönheit
in die Sifinja einfließen.
Bei der Arbeit der
Aneignung des TJ werden keine trivialen Probleme gelöst, hier ein glattgeklopfter
Pepsideckel untergelegt, dort eine Dichtung durch ein Stück Gummischlauch
ersetzt oder eine Schraube durch ein Ende Bindfaden. Dies ist nicht das übliche
Milieu aus Dilettanten und Amateuren, die mit mehr Gottvertrauen als Ressourcen
und Wissen herumbasteln. Sondern hier werden echte mechanische und automotive
Herausforderungen gemeistert, die anderswo von Staats wegen und von den Ingenieuren
für sich und ihresgleichen reserviert bleiben. Dies sind selbstbewußte
Handwerker, versiert in vielerlei Verfahren. Sie verfügen über ebensoviel
Materialsinn wie körperliche Geschicklichkeit mit Werkzeug. Ihre lange Praxis
hat sie dazu gebracht, in ihren Werkzeugen "zu wohnen" (Polanyi 1958: 58/9)
[Personal Knowledge. Towards a Post-Critical Philosophy. Chicago: Chicago
University Press]. Bricoleurs im Sinne von Lévi-Strauss (1973, 29ff)
[Das Wilde Denken. Frankfurt: Suhrkamp] ja, aber nicht
die Stümper, deren Genie sich darin erschöpft, irgend etwas zusammenzuflicken,
so daß es notdürftig funktioniert. In der Arbeit der LKW-Schmiede liegt
eine kühne aber professionelle Kreativität, durch welche die für
selbständige handwerkliche Arbeit typische Einheit von Hand und Hirn leuchtet.
Damit ist die Frage nach dem gesellschaftlichen Ort der Kreativität und der
gesellschaftlichen Organisation des Wissens gestellt.
Viele
der Umbauten sind inzwischen standardisiert. Die Lagerung von Motorverkleidung
und Fahrerhaus beispielsweise ist auf vier verschiedene Arten möglich, um
deren Erfinder sich im LKW-Milieu eine eigene Folklore rankt. Über Lehre
und lokales Milieu haben sich handwerkliche Traditionen ausgebildet, die wichtigsten
in Shendi, in El Obeid, in Port Sudan und in Hillat Kuku (Khartum-Nord), welche
jeweils einen Rahmen dafür bilden, wie die Schmiede ihre Umrüstungen
konzipieren und ausführen. Historisch summieren sich die vielen kleinen Erfindungen
und Weiterentwicklungen und bauen aufeinander auf. Viele der Varianten mögen
heute in der Praxis nicht mehr verwendet werden, aber sie sind an den langlebigen,
anderswo bereits in Oldtimer-Museen verbannten Schmuckstücken noch nachvollziehbar.
Dies umschreibt die im Metall materialisierte Geschichte der Aneignung: ein knappes
halbes Jahrhundert Bedford TJ im Sudan.
Dennoch sind
diese Traditionen nicht starr und gegeneinander abgeschottet, sondern flexibel,
durchlässig und vor allem weiterhin fruchtbar. Die Schmiede sind bei ihrer
Arbeit im Kontakt mit den Fahrern immer wieder mit neuen Aufgaben konfrontiert
und suchen kontinuierlich nach Lösungen und besseren Varianten für bereits
bekannte Verfahren. Und diese in Blech geschlagenen Ideen reisen mit den LKWs
von einer Werkstatt zur anderen. Dadurch verweben die Autos selbst die sich lokal
herausbildenden Traditionen zu einer landesweiten community of practice.
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