Brutstätten der Kreativität -
Die Aneignung des LKWs
im Sudan


Aufsatz und Fotografien von Kurt Beck

 

 

 

 

 

 

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Abb. 1: Der Lastesel der agrarischen Gesellschaft

 

 

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Abb. 2: Das Ausgangsmodell TJ. Titelphoto eines historischen Reparatur-handbuchs von Bedford


Brutstätten der Kreativität -
Die Aneignung des LKWs im Sudan

Kurt Beck, München [1] Daß dieser Aufsatz hier erscheint, beruht einerseits auf meiner Hochachtung vor dem Unterfangen, das der Webmaster von Africars.de auf diesen Seiten begonnen hat, aber auch auf meinem Ärger über eine namenlose Druckerei. Ursprünglich ist der Aufsatz unter dem Titel "Bedfords Metamorphose" für einen großen Lehrer und alten Freund geschrieben worden (Beck / Förster / Hahn [Hgg.], 2004: Blick nach vorn. Festschrift für Gerd Spittler zum 65. Geburtstag. Köln: Köppe). Als er dann im Druck erschien, sahen die beigefügten Abbildungen wie die buchstäblichen grauen Katzen in der Nacht aus. Hiermit liefere ich die Bilder, wie sie dem Geehrten zustehen, nach. Bei der Überarbeitung sind mir dann auch gleich noch einige neue Ideen gekommen, so daß mir auch der neue Titel gerechtfertigt schien.

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Wer in Asien, Lateinamerika oder Afrika gereist ist, kennt die erfindungsreich umgebauten und häufig reich verzierten Lastkraftwagen, die das Straßenbild der Städte ebenso prägen wie den Verkehr auf den abgelegensten Pisten des Hinterlands. Ästhetisch besonders beeindruckende Exemplare sind auf den Straßen Nigerias, Mexikos, der Philippinen und Pakistans unterwegs. Sie überragen den übrigen Verkehr wie besonders reich geschmückte Prunkelefanten oder Dinosaurier im Hochzeitsgewand. Ein großer Teil des Güter- und Passagierverkehrs wird mit diesen LKWs abgewickelt. Auch Ethnologen bedienen sich ihrer als selbstverständliche Transportmittel bei ihren Forschungsreisen. Dennoch sind sie bislang kein legitimer Gegenstand der Forschung. Das heißt aber nicht, daß es dabei nichts zu entdecken gäbe - im Gegenteil, sie geben einen Blick frei auf das, was für Ethnologen zu den wunderbarsten Dingen dieser Welt gehört, namentlich auf die menschliche Kreativität.

Im Sudan sind LKWs - hauptsächlich der Marke Bedford und Nissan - nicht nur äußerlich verziert. Darüber hinaus sind sie auch noch von Grund auf umgebaut. Kleine Werkstätten, die üblicherweise dem sogenannten informellen Sektor der Ökonomie zugerechnet werden und sich weitab jeglicher Entwicklungshilfe und formaler Ausbildung behaupten, haben sich darauf spezialisiert, importierte LKWs vollständig abzubauen und nach einem eigenen Muster neu aufzurüsten. Das Endprodukt dieser handwerklichen Kunst ist ein völlig neuer LKW, der nur noch wenig Ähnlichkeit mit dem Ausgangsprodukt aufweist und in dessen unorthodoxe Konstruktion überraschende technische Innovationen im LKW-Bau eingegangen sind. Hier äußert sich eine lokale Kreativität im Umgang mit importierten globalen Gütern und ihrer Weiterentwicklung, die um so verblüffender erscheint, als sie allen common sense-Annahmen über Afrika zuwiderläuft.

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Der Bedford TJ kann wohl kaum als der Prunkelefant der sudanesischen Gesellschaft bezeichnet werden, eher vielleicht als ihr Lastesel, einfach, robust, bescheiden, wendig, verläßlich, vielseitig verwendbar. Er kommt als Tankwagen oder Kranwagen, als Pritschen-LKW oder Omnibus, vor allem jedoch als LKW mit hochgezogener Ladewand daher (Abb. 1). In dieser Version bekommt er Dieselfässer aufgeladen, Kisten und Kartons jeglicher Art, mit ausgespannter Plane Schüttgut, mit zusätzlich eingezogenem Zwischendeck aus Ästen Schafe und Ziegen, meistens aber Säcke, die typische Fracht einer agrarischen Gesellschaft, und obendrein noch Passagiere und ihr Gepäck. Wo die großen LKWs nicht mehr rentabel operieren können, wo sie auf den schmalen Wegen zwischen den Felsen keinen Durchgang mehr finden, wo die schweren Lastzüge in den Dünen hoffnungslos versanden oder sich in den Schlamm einwühlen, wo die Böschungen der Wadis zu steil und die Gefahren der menschenleeren Wüste zu tödlich für die komplizierten High-tech LKWs werden, überall dort bewährt sich der TJ. Sicher, er befährt auch die Asphaltstraßen, aber sein eigentliches Zuhause ist das weitverzweigte Netz von Überlandpisten und Fahrspuren, welches auch das unwegsamste Hinterland mit den großen Märkten verbindet.

Der Bedford TJ ist von Haus aus ein idealer LKW für sudanesische Bedingungen, preiswert, klein und vor allem einfach konzipiert: zugänglich verschraubt, ohne versiegelte Teile, ohne komplizierte Elektronik -- robuste Nachkriegstechnologie eben, die auf den Erfahrungen des Automobilbaus im Zweiten Weltkrieg basiert. (Abb. 2) Dennoch stellt das sudanesische Wegenetz Herausforderungen, denen auf Dauer kein Auto gewachsen ist. Gleichzeitig bietet jedoch die sudanesische Umgebung, das Klima, die geringe staatliche Überwachung sowie die Sozialstruktur des Handwerks und seine kulturelle Tradition, Chancen, brachliegende (und zu entdeckende) Potentiale des TJ zu verwirklichen, wie sich die Ingenieure bei Bedford dies nie hätten getrauen können.

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© K. Beck (2005) l Gestaltung: G. Klaeger