<
l 6 von 6
Es ist ein kreatives aber nicht
von Ingenieuren unterworfenes Handwerk -- daher die unorthodoxe Haltung zum LKW (Harper 1987[Working
Knowledge. Skill and Community in a Small Shop. Chicago: Chicago University
Press]; Braverman 1974)[Labor
and Monopoly Capital. The Degradation of Work in the Twentieth Century. New
York: Monthly Review Press]
. Praxis, Anwendung, Problemlösung, Weiterentwicklung
bleiben im Handwerkermilieu. Hand und Hirn bilden eine Einheit, das Wissen steckt
in der Hand, die selbst das Werkzeug führt. Mit einem Wort, das Wissen bleibt
Eigentum der Handwerker, nicht der Ingenieure. Und es handelt sich nicht nur um
selbständige Schmiede, die autonom über ihre Dispositionsspielräume
verfügen, sondern es handelt sich darüber hinaus um Schmiede, die nicht
im Korsett der langen kulturellen Tradition der europäischen Handwerker und
der von euroamerikanischen und japanischen Ingenieuren kontrollierten Orthodoxie
des Kraftfahrzeugbaus stecken. Damit bleibt ihre Phantasie unkolonisiert genug,
auch unorthodoxe Wirklichkeiten in Metall zu erschaffen.
Not
macht erfinderisch, dies gilt auch für die Auto-Handwerker. Damit ist die
Frage nach dem weiteren wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umfeld aufgeworfen.
Angesichts des quälenden Mangels an Ersatzteilen, vor allem billigen und
dennoch guten Ersatzteilen, sind auch die sudanesischen LKW-Schmiede wie alle
bricoleurs darauf angewiesen, ständig in ihrem Archiv verfügbarer
Teile nach einem vielleicht passenden oder passend machbaren Teil zu kramen, "selbst
wenn es aus einer Nähmaschine stammt". [2] So wurde
der routinemäßige Einbau eines Vierzylinder Bezinmotors aus dem Toyota
Hilux anstelle des original Sechszylinder Diesels in die Flotte russischer Wolgas
aus den sechziger Jahren, die in Shendi und El Obeid als Taxis laufen, beschrieben.
Was zuerst auffällt, ist der lächerlich kleine Motor für die riesige
Limousine, aber das eigentlich Bemerkenswerte ist die Lösung für das
Getriebe. Die Arbeit der LKW-Schmiede läßt sich
unter solchen Umständen nicht auf standardisierte und die handwerkliche Geschicklichkeit
verkrüppelnde Verfahren des Ersatzteiltauschs reduzieren. Vielmehr fordern
gerade die vielen unstandardisierten Reparaturarbeiten an Teilen, die in einer
reicheren Umwelt längst als hoffnungslos aufgegeben worden wären, die
Kreativität und Improvisationsfähigkeit der Handwerker in einem Maß
heraus, das sonst nur in Entwicklungsabteilungen erwartbar ist. An einem Bedford
TJ gibt es nur wenige Teile und Verfahren (Radlager gehören dazu, ebenfalls
die Einbrennlackierung), die nicht lokal herstellbar, reparierbar oder simulierbar
sind. Und es ist billiger, einen besseren Auspuff oder Tank lokal herzustellen
als im Ersatzteilhandel zu erwerben.
Die Arbeit der
Schmiede ist konkurrenzlos preiswert. Ein LKW hat daher ein nahezu beliebig verlängerbares
Leben, wie die immer noch laufenden Comer aus den vierziger Jahren und die Bedfords,
Fords, Landcruisers und Austins aus der Zeit der beginnenden automobilen Revolution
in den fünfziger und sechziger Jahren beweisen. Der sogenannte informelle
Sektor, der für den Bedarf der Armen produziert, erweist sich auch hier als
eine Brutstätte der Kreativität.
Aber es ist
eben nicht nur die Not, die erfinderisch macht. Aus der Not mögen viele one-shot-items,
gelegentlich auch elegante Improvisationen geboren werden, i.d.R. aber handelt
es sich dabei eher um ein Durchlavieren. Hier steht etwas anderes zur Debatte:
solide handwerkliche Arbeit, der Ehrgeiz zu Verbesserungen, die Freude an eleganten
Lösungen und der Stolz auf das eigene Können. (Abb. 35) Dies gedeiht
am ehesten in einem Milieu einerseits relativ wohlhabender selbständiger
Handwerker, die aus einer reichen Praxis schöpfen und am Prestige der automobilen
Moderne teilhaben, andererseits aber unabhängiger Handwerker, die nicht von
Management und Ingenieuren um den kreativen Teil ihrer Arbeit beraubt worden sind.
Mit anderen Worten: Die Sifinja lebt durch die lebendige, unentfremdete
Arbeit ihrer Handwerker.
Literatur
Beck,
Kurt / Förster, Till / Hahn, Hans-Peter (Hgg.), 2004: Blick nach vorn.
Festschrift für Gerd Spittler zum 65. Geburtstag. Köln: Köppe.
Braverman,
Harry, 1974: Labor and Monopoly Capital. The Degradation of Work in the Twentieth
Century. New York: Monthly Review Press.
Hahn,
Hans-Peter, 2004, Die Aneignung des Fahrrads. In: Beck, Kurt / Förster, Till
/ Hahn, Hans-Peter (Hgg.), Blick nach vorn. Festschrift für Gerd Spittler
zum 65. Geburtstag. Köln: Köppe, S. 264-280.
Harper,
Douglas, 1987: Working Knowledge. Skill and Community in a Small Shop.
Chicago: Chicago University Press.
Keller,
Charles und Keller, Janet Dixon, 1996: Cognition and Tool Use. The Blacksmith
at Work. Cambridge, Mass.: Cambridge University Press.
Kensok,
Peter, 1987: Fitter -- Entwicklung aus der Werzeugkiste. Saarbrücken:
Breitenbach.
Lévi-Strauss,
Claude, 1973, Das Wilde Denken. Frankfurt: Suhrkamp.
Polanyi,
Michael, 1958: Personal Knowledge. Towards a Post-Critical Philosophy.
Chicago: Chicago University Press.
Streck,
Bernhard, 1996: Die Halab. Zigeuner am Nil. Wuppertal: Trickster / Hammer.
<
l 6 von 6